Transboundary Europe through a West African Looking Glass: Cross-Border Integration, “Colonial Difference” and the Chance for “Border Thinking”

Transboundary Europe through a West African Looking Glass: Cross-Border Integration, “Colonial Difference” and the Chance for “Border Thinking”

Grenzraum
Westafrika, Europa
Sprache(n)
Englisch
Einleitung

Der Artikel untersucht die Perspektive der West African Borders and Integration (WABI) Initiative auf grenzüberschreitende Beziehungen in der EU. Dabei beziehen die Autoren sich auf Walter Mignolos Überlegungen zum modernen/kolonialen Weltsystem und entwickeln seine Idee des Grenzdenkens und der Exterirorität weiter.

Zusammenfassung

Die Grenzforscher Oliver Kramsch und Chiara Brambilla nutzen Walter Mignolos epistemologische Perspektive auf Grenzen, um in ihrem Artikel eine neue Sichtweise auf Euro-Afrikanische Grenzräume zu entwickeln. Die Analyse eines Berichtes der West African Borders and Integration (WABI) Initiative offenbart einen neunen, die kolonialen Beziehungen verschleiernden Blick auf die EU, ihre Grenzräume und grenzüberschreitenden Beziehungen, die als Modell für WABI dienen. Dabei werden neue Dynamiken in der wechselseitigen historischen Konstruktion von Grenzen aufgezeigt, die eine Erweiterung von Mignolos Konzept der Exteriorität und des Grenzdenkens notwendig werden lassen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Eurozentrismus und Okkzidentalismus nicht nur in Westeuropa zu verorten sind, sondern über die europäischen Grenzen hinweg angeeignet und lokalspezifisch interpretiert werden. Andersherum sind Grenzdenken und die Exteriorität nicht nur außerhalb des Westens zu finden. So begreifen die Autoren ihren Artikel selbst als Grenzdenken, der die euro-afrikanischen Beziehungen und Grenzkonstruktionen neu einordnet.

Inhalt

Les auteurs se servent de la perspective épistémologique sur les frontières pour réinterpréter les régions frontalières euro-africaines. Pour ce faire, ils font référence à la théorie de la notion de l‘extériorité et du système mondial moderne/colonial de Mignolo. Sur la base d‘un rapport de l‘initiative West African Boders and Integration (WABI), ils illustrent la transformation des rapports frontaliers entre l‘Afrique et l‘Europe et élargissent la théorie de Mignolo (p. 95).
Brambilla et Kramsch plaident en faveur d‘une recatégorisation des frontières européennes et de l‘interaction transfrontalière au sein d‘une narration géopolitique globale. Le travail de Walter Mignolo est à cet effet pionnier, puisqu‘il considère les frontières et les pratiques qui y sont liées sur le fond de rapports coloniaux et post-coloniaux globaux (p. 96). C‘est pourquoi les auteurs illustrent en un premier temps la théorie de Mignolo pour signaler ensuite différents points de critique qu‘ils illustrent à travers leur exemple ouest-africain.
Mignolo introduit une double problématique des frontières, qui se réfère aux effets de la cartographie coloniale basée sur le traçage des frontières effectué par les dominateurs occidentaux. Pour Mignolo, la transformation d‘un système moderne du monde tel que l‘a postulé Immanuel Wallerstein vers un système mondial moderne/colonial constitue une étape décisive vers la décolonialité. Le système mondial moderne/colonial est essentiellement déterminé par les frontières. Ces frontières du système géopolitique contemporain constituent des lieux d‘extériorité, résultats et effets de l‘expansion coloniale et de la différenciation (p. 97). Dans ce processus, la reconnaissance de la différence coloniale requiert, dans une perspective subalterne, un mode de penser la frontière, c‘est à dire une pratique épistémologique  en mesure d‘identifier les moments de tension entre les histoires locales et les systèmes de savoir hégémonique (p. 101). Le mode de penser la frontière correspond pour Mignolo à un projet décolonial, puisqu‘il découle de l‘extériorité représentant ce qui est extérieur et a été créé depuis l‘intérieur.
Les auteurs critiquent le fait que le système mondial moderne/colonial de Mignolo continue à localiser la production de savoir en Europe de l‘Ouest ou dans l‘UE, en dépit du fait que des perspectives eurocentristes puissent actuellement être observées partout dans le monde (p. 98


Der Autoren nutzen die epistemologische Perspektive auf Grenzen als Basis für eine Neuinterpretation der Euro-Afrikanischen Grenzzonen. Sie beziehen sich theoretisch auf Mignolos Begriff der Exteriorität und des modernen/kolonialen Weltsystems. Anhand eines Berichts der West African Boders and Integration (WABI) Initiative illustrieren sie den Wandel der Afrikanisch-Europäischen Grenzbeziehungen und erweitern Mignolos Theorie (S. 95).
Brambilla und Kramsch plädieren dafür, dass europäische Grenzen und grenzüberschreitende Interaktion in einem globalen geopolitischen Narrativ neu verortet werden müssen. Die Arbeit Walter Mignolos ist dabei wegbereitend, denn er betrachtet Grenzen und Grenzpraktiken vor dem Hintergrund globaler kolonialer und postkolonialer Beziehungen (S. 96). Daher illustrieren die Autoren zunächst Mignolos Theorie und weisen anschließend auf verschiedene Kritikpunkte hin, die sie anhand ihres westafrikanischen Beispiels erläutern.
Mignolo führt eine doppelte Grenzproblematik ein, die sich auf die Effekte der kolonialen Kartierung bezieht, die durch Grenzziehungen der westlichen Herrscher entstanden ist. Für Mignolo bedeutet der Wandel von einem von Immanuel Wallerstein postulierten modernen Weltsystem zu einem modernen/kolonialen Weltsystem einen entscheidenden Schritt in Richtung Dekolonialität. Das moderne/koloniale Weltsystem ist essentiell durch Grenzen geprägt. Diese Grenzen des kontemporären geopolitischen Systems sind Orte der Exteriotität, die das Ergebnis und der Effekt der kolonialen Ausbreitung und der Differenzierung sind (S. 97). Dabei verlangt die Anerkennung der kolonialen Differenz von einer subalternen Perspektive das Grenzdenken, eine epistemologische Praxis die Spannungsmomente zwischen lokalen Geschichten und hegemonialen Wissenssystemen identifiziert (S.101). Grenzdenken ist für Mignolo ein dekoloniales Projekt, denn es entspringt der Exteriorität, die das Außen ist, was von innen heraus geschaffen wurde.
Die Autoren kritisieren, dass Mignolos modern/koloniales Weltsystem die Wissensproduktion immer noch in Westeuropa bzw. der EU verortet, obwohl eurozentrische Perspektiven heute weltweit beobachtet werden können (S. 98). Sie halten sein Verständnis von Exteriorität für zu statische, da es in einer innen/außen Logik verhaftet bleibt. Außerdem habe er das Wo der Exteriorität nicht ausreichend theoretisiert (S.102). Aufbauend auf dem Gedanken des Grenzdenkens versuchen die Autoren zu verstehen, wie die Idee des grenzüberschreitenden Europas in lokalen postkolonialen Settings Westafrikas mobilisiert wurde (S. 103).
Anhand der Analyse eines WABI Berichts zeigen sie, dass eurozentisches Wissen nicht nur in Europa lokalisiert werden kann. Ebenso kann das „außerhalb“ von Europa nicht nur mit emanzipatorischer Agency konnotiert sein, denn die Beziehungen von Europa und seinen vielen „außerhalbs“ ist viel komplexer, als es Mignolos Konzept der Exteriorität suggeriert (S. 98).
WABI war 2007 daran interessiert eine Afrika-Europa Konferenz zu organisieren, wo beide Regionen gegenseitig voneinander und ihren grenzüberschreitenden Interaktionen und Kooperationen lernen sollten (S. 107). Die Autoren betrachten WABIs Perspektive als „Euro-opimism of the will“ (S.108f). Der WABI Bericht kreiert ein utopisches Narrativ Europas, das die akademische Literatur der europäischen Grenzforscher ignoriert, die sich vor allem auf Schwierigkeiten und Probleme der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen grenzüberschreitenden Integration in Europa fokussieren. Der Artikel endet mit einer Erweiterung der Mignoloschen Theorie, die auf eine flexiblere Vision von Grenzdenken, kolonialer Differenz und Exteriorität hinweist.

Fazit

Das Neue an grenzüberschreitenden Entwicklungsinitiativen in Afrika ist, dass die EU als erfolgreiches Beispiel für grenzüberschreitende Regionalisierung betrachtet wird. Die geographische Idee von Europa reist dabei nicht intakt in andere Lokalitäten, sondern wird selektiv angeeignet, übersetzt und neu gegründet um lokalen Anforderungen zu entsprechen (S. 105). Die Autoren zeigen z.B. anhand von Kartenmaterial aus dem WABI Bericht auf, wie die westafrikanischen WABI Akteure durch die Bildung von kartographischen, prozessbezogenen, sprachlichen und zeitlichen Analogien zu Europa, Westafrika und die EU als eine homologe policy-making Arena konzipieren (S. 110). Der WABI Bericht unterschlägt dabei die koloniale Vergangenheit Europas und die europäische grenzüberschreitende Integration wird vollständig auf die innereuropäischen Nachkriegserfahrungen zurückgeführt. Kolonialisierung, Dekolonialisierung sowie weiterhin bestehende Abhängigkeiten werden nicht im Bericht erwähnt. Das Narrativ des Berichts ist somit frei von den geo-historischen Beziehungen zwischen Afrika und Europa, die durch Ausbeutung, Abhängigkeit und Ungleichheit gekennzeichnet sind (S. 112). Dieser positive Blick auf die EU zeigt, wie selektiv postkoloniale Subjekte mit den Ressourcen aus dem Westen umgehen und ihre eigene Sicht kreieren, die oft den Eindrücken der europäischen Grenzforscher widerspricht. Die Autoren schlussfolgern, dass die Idee des grenzüberscheitenden Europas nicht mehr nur auf den Raum der EU beschränkt ist, sondern weit darüber hinaus geht und regionale grenzüberschreitende Integrationsprojekte in Westafrika durchdringt (S. 113). Die Ergebnisse der Analyse widersprechen folglich Mignolos Ansicht, dass Eurozentrismus und Okkzidentalismus nur in der geopolitischen Realität Westeuropas zu verorten sind. Die Autoren resümieren, dass es kein pures Außen gibt, von dem aus das moderne/koloniale Weltsystem zu denken ist. Grenzdenken kann somit auch in Europa stattfinden, denn es ist eher ein Denken von dichotomen Konzepten als ein Denken der Welt in Dichotomien (S. 114). Die Autoren betrachten ihre Analyse des WABI Berichts selbst als eine Form von Grenzdenken und fordern abschließend dazu auf nicht mehr zu fragen, was die Grenze ist, sondern was es bedeutet eine Grenze zu sein (S.114f).

Kernaussagen

Mignolos modernes/koloniales Weltsystem und sein Verständnis von Grenzdenken und Exteriorität sind zu statisch, bleiben in einer innen/außen Logik verhaftet und vernachlässigen das Wo der Exteriorität. Die Analyse des WABI Berichts, der (post)koloniale Beziehungen zwischen Afrika und Europa zugunsten einer durchweg positiven Perspektive auf grenzüberschreitende Integration in der EU vernachlässigt, zeigt, dass eurozentrische Perspektiven auch außerhalb Europas angeeignet werden. Daraus folgt, dass auch Grenzdenken nicht nur in der außerwestlichen Exteriorität verortet werden kann. Folglich ist der Ort der epistemologischen Exteriorität auch vielfältig, mobil und komplex. Das Ergebnis ist ein pluriversales Bild von Europa (S.115).

Leitung

Dr. Chiara Brambilla, Universität Bergamo, Department for Human and Social Sciences

Verfasser des Eintrags
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Erstellungsdatum
2019