Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt in der Großregion SaarLorLux: Politische Visionen und empirische Wirklichkeiten
Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt in der Großregion SaarLorLux: Politische Visionen und empirische Wirklichkeiten
Der Beitrag befasst sich mit dem Grenzgängerwesen in der Großregion SaarLorLux. Politische Visionen und empirische Wirklichkeiten werden herausgearbeitet und einander gegenübergestellt.
Der Autor geht der Frage nach, ob das intensive Pendleraufkommen tatsächlich - wie meist im öffentlichen Diskurs proklamiert - als Zeichen einer fortschreitenden Integration bezeichnet werden kann oder ob es eher als Hinweis für andauernde sozioökonomische Ungleichgewichte zwischen den Teilregionen zu deuten ist. Dazu erstellt er eine Gegenüberstellung von politische Visionen und empirischen Wirklichkeiten. In dem Fazit „Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ unterstreicht Christian WILLE die asymmetrische Konfiguration der Beschäftigung. Diese ist einerseits auf Luxemburgs starken Ausbau des Dienstleistungssektors und die damit verbundene zentrale Position in Bezug auf die grenzüberschreitende Beschäftigung zurückzuführen, andererseits wird deutlich, wie sehr etwa die Regionen in Nordfrankreich nach wie vor unter dem Strukturwandel leiden. Es ist demnach eher von einem regionalen Auseinanderklaffen der Beschäftigung zu sprechen. Diese Heterogenität der sozioökonomischen Rahmenbedingungen muss allerdings gleichzeitig als Triebfeder der grenzüberschreitenden Beschäftigung anerkannt werden.
Um die Frage nach einer tatsächlichen Integration im Kooperationsraum zu behandeln analysiert Christian WILLE Dokumente von politisch-institutionellen Akteuren des grenzüberschreitenden Arbeitsmarkts (Gipfel der Großregion, Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion und Interregionale Arbeitsmarktbeobachtungsstelle der Großregion) aus den Jahren 1995-2013 und quantitative Analysen der Pendlerströme an fünf nationalen Grenzen der Großregion SaarLorLux aus den Jahren 1980-2008.
Im politischen Diskurs können unterschiedliche Motive ausgemacht werden. Das Motiv, welches am deutlichsten hervortritt ist das des gemeinsamen Arbeitsmarkts (oder „integrierten Arbeitsmarkts“ bzw. „einheitlichen Arbeitsmarktraums“). Dieses wird in den Dokumenten sowohl als realisierte Errungenschaft als auch als anzustrebende Vision behandelt, allerdings wird es nicht im Detail bestimmt. Eine Konkretisierung erfolgt allerdings bei der Betrachtung in Verbindung stehender Teilmotive wie der Harmonisierung von sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen. Darunter fallen bspw. das angestrebte „angeglichene Lohn- und Aufgabenniveau“ und die „Koordinierung der nationalen Systeme in den Bereichen Sozialversicherung, Steuern, Arbeitslosenversicherung, Berufsunfähigkeit, Renten- und Versorgungsbezüge“. Ein weiteres Teilmotiv das zur Verringerung der Systemunterschiede führen soll ist der Abbau von Mobilitätshemmnissen. Weitere Teilmotive sind die Steuerung von Matching-Prozessen und eine konzertierte Arbeitsmarktpolitik.
Bei der Betrachtung der empirischen Wirklichkeiten erfolgt eine detaillierte Betrachtung der Entwicklungen des grenzüberschreitenden Arbeitsmarkts, die in die Zeiträume 1980-2008, von den 1980er Jahren bis zur Jahrtausendwende und von der jahrtausendwende bis 2008 untergliedert ist. Es wird deutlich, dass in den Teilregionen unterschiedliche Strategien umgesetzt wurden, die allerdings auf ähnliche Ziele fokussieren: die Umstrukturierung der traditionellen Industriebranchen, den Ausbau der Wirtschaftsstruktur und den Abbau der industriellen Monostrukturen, sowie die Ansiedlung von modernen Dienstleistungs- und Industrieunternehmen. Die Entwicklungen der Grenzgängerströme an der deutsch-französischen Grenze, der deutsch-luxemburgischen Grenze, der französisch-luxemburgischen Grenze, der belgisch-französischen, und der belgisch-luxemburgischen Grenze werden im Detail erklärt. Im Laufe der Jahrzehnte ergibt sich eine immer deutlicher werdende Ausrichtung der Ströme Richtung Luxemburg. Dies wirft dem Autor zufolge „nicht nur Fragen mit Blick auf die Vision eines gemeinsamen Arbeitsmarkts auf, sondern hat auch im Großherzogtum zu einer atypischen Arbeitsmarktsituation geführt“ (S. 136).
Die Anzahl der grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmer ist in der Großregion SaarLorLux seit den 1980er Jahren stetig gestiegen. Der Großteil der Pendler ist in Luxemburg tätig. Diese Entwicklung ist auf die Arbeitsplatzeinbrüche in den Altindustrieregionen und den zum Teil verzögerten Strukturwandel zurückzuführen. Das Saarland reagierte allerdings mit einer frühzeitigen industriellen Diversifizierung und wurde somit zum attraktiven Arbeitsstandort für Personen aus Nordfrankreich. Luxemburg gelang es den Dienstleistungssektor zu entwickeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Personen aus sämtlichen Nachbarländern, insbesondere jedoch Frankreich, anziehen. Diese asymmetrische Entwicklung führt zur Infragestellung der politischen Vision eines integrierten Arbeitsmarkts. Es ist demnach eher von einem regionalen Auseinanderklaffen der Beschäftigung zu sprechen. Diese Heterogenität der sozioökonomischen Rahmenbedingungen muss allerdings gleichzeitig als Triebfeder der grenzüberschreitenden Beschäftigung anerkannt werden. Die politisch angestrebte Harmonisierung von sozioökonomischen Rahmenbedingungen wird ebenfalls „(noch) als Vision“ beschrieben. Ein steuerndes und koordiniertes (grenzüberschreitendes) Handeln der Akteure lässt sich dem Autor zufolge nur in Ansätzen erkennen. Eine konzertierte Arbeitsmarktpolitik gibt es bisher lediglich in Grundzügen. Die politischen Teilmotive Abbau von Mobilitätshemmnissen und Information und Expertise werden hingegen optimistischer bilanziert. Insgesamt zeigt die Gegenüberstellung von politischen Visionen und empirischen Wirklichkeiten in Bezug auf den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt, „dass diese nur bedingt ineinandergreifen und die im politischen Diskurs identifizierten Teilmotive zum Teil zu hinterfragen sind“ (S. 140).Der Autor enthält sich jedoch „einer Bewertung der weitgehend unzureichenden Übereinstimmung von Anspruch und Wirklichkeit (S. 140)“ und rät zu einer umfassenden Ursachenanalyse.
Christian Wille
Wolfgang H. Lorig
Sascha Regolot
Stefan Henne
DOI: 10.1007/978-3-658-10589-1_6
ISBN: 978-3-658-10588-4
E-ISBN: 978-3-658-10589-1