Technoecologies of Borders : Thinking with Borders as Multispecies Matters of Care

Technoecologies of Borders : Thinking with Borders as Multispecies Matters of Care

Grenzraum
Österreich, Vereinigtes Königreich
Sprache(n)
Englisch
Einleitung

Grenzen und abgrenzende Prozesse wirken nicht nur auf Menschen, sondern auch auf deren Umgebung und Mitmenschen. Dies erfordert eine erweiterte Sichtweise auf Grenzen, die die Verflechtung von Mensch und Umgebung berücksichtigt und die Verpflichtung zu einer ethisch-politischen Praxis von (mehr-als-menschlicher) Sorge und Solidarität einbezieht.  

Zusammenfassung

Die Autoren entwickeln ein neues Verständnis von Grenzen, welches sich aus den Vorstellungen der Techno-Ökologie von Félix Guattari und den Gedanken der von Nira Yuva-Davis geforderten  feministischen transversalen Politik ableitet. Sie setzen sich für eine über das Menschliche hinausreichende Solidarität ein, die mehr-als-menschliche Lebenswelten umfasst, seit Menschen und ihre Mitmenschen in komplexen Grenzbeziehungen miteinander verbunden sind. Anhand von zwei Beispielen stellen die Autoren diese Verbundenheit und die durch Grenzziehungsprozesse verursachten Einschnitte gegenüber, indem sie Grenzen, Menschen, andere Spezies, Geologie, Technologie sowie Politiken und Diskurse einer (mehr-als-menschlichen) Ausgrenzung miteinander in Verbindung bringen.

Inhalt

In der Einführung zu ihrem Artikel stellen Josef Barla und Christoph Hubatschke fest, dass Grenzen und Technologien immer zusammengehört haben, auch wenn “deren Form und Funktion sich in der Geschichte verändert hat” (S. 395). In unseren derzeitigen “Kontrollgesellschaften” (ebd.) sind technologisch aufgerüstete Grenzkontrollen wie z. B. Reisepässe mit biometrischen Angaben und andere digitale Barrieren zur Normalität geworden. Das geht so weit, dass “diese technologischen und technisch-wissenschaftlichen Anwendungen darüber hinaus physische Grenzen im Inneren des menschlichen Körpers verorten und so eine Überwachung über das Körperinnere ermöglichen” (ebd.). Diese Verknüpfung von Grenzen, (mehr-als-menschlichen) Körpern und Technologien möchten die Autoren in dem Artikel beleuchten, indem sie sich auf zwei empirische Beispiele zu Grenzen, Flüchtlingen und Ökologie in Österreich und dem vereinigten Königreich beziehen (S. 399 ff).

In ihrer Analyse verbinden die Autoren die Schriften von Félix Guattari zur Ökologie und die Arbeit von Nira Yuval-Davis über feministische transversale Politik (S. 397 ff). Guattaris The Three Ecologies (1989) dient als Ausgangspunkt für die Überlegung, Umwelt, Technologien, Soziales und Mentales zusammenzuführen und eine “techno-ökologische Lesart von Grenzen” anzustoßen (S. 397). Besonders deutlich wird dies in dem von Guattari und Deleuze entwickelten Begriff der “Mechanosphäre”, der “Relationalitäten von heterogenen menschlichen und mehr-als-menschlichen Kräften und Abläufen” beschreibt, “die sich ständig gegenseitig konstituieren und neu gestalten” (ebd.). Diese Sichtweise bricht mit dem Bild zweier voneinander getrennten Welten, der sozialen und der natürlichen.

Um für Solidarität zwischen heterogenen Akteuren zu werben, wie sie speziell an Grenzen aufeinan-dertreffen, beschäftigen sich die Autoren mit Nira Yuval-Davis’ “feministischer transversaler Politik”, die über den Gedanken von Individualität und Identitätspolitik hinausreicht, indem sie ein “intersektionales Werkzeug” darstellt, das den Begriff des “Wir” gegenüber dem Begriff des “Anderen” in den Vordergrund stellt (S. 397-398). Auf dieser begrifflichen Grundlage bieten die Autoren eine Lesart von Grenzen an, nämlich “Multispezies-Angelegenheiten der Fürsorglichkeit, die sich durch miteinander verstrickte menschliche und nicht-menschliche Gruppen, Technologien, Geologie, Politk und Diskurse zusammensetzen und festigen” (S. 399).

Das erste empirische Beispiel geht auf 2016 zurück und bezieht sich auf Flüchtlinge in Österreich sowie eine Äußerung des Außenministers, wonach Flüchtlinge, während sie auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warteten, unentgeltliche Arbeit verrichten sollten. So sollten sie z. B. dabei “helfen, gebiets-fremde oder invasive Arten – meist Pflanzen, die nicht dem heimischen Ökosystem zuzurechnen sind – auzumerzen” (S. 399). Die Autoren untersuchen, wie im Laufe der Zeit Diskurse über invasive Spezies aufgebaut wurden und wie sie in diesem Fall mit Diskursen und Politik zur Zuwanderung, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Flüchtlingen verknüpft wurden (S. 400 ff). Sie zeigen damit, wie Diskurse “eine andere Grenze ansprechen, eine, die zwischen Leben und Tod unterscheidet” (S. 401) und inwieweit dies mit hegemonialen Machtverhältnissen und Fragen der Herkunft und der Zugehörigkeit verbunden ist.

Das zweite Beispiel spricht über die Kontroverse im Zusammenhang mit dem “Nationalitäten-Tauschen” im Vereinigten Königreich um 2009 und mit dem Human Provenance Pilot Project (Pilotprojekt zur Herkunft von Menschen), das von der britischen Grenzbehörde (UK Border Agency) zwischen 2009 und 2011 durchgeführt wurde (S. 403). Das Projekt diente dazu, die vermeintlich “wahre” Herkunft der (männlichen) Asylsuchenden, meist aus Afrika, nachzuweisen. Man bediente sich dazu einer Vielfalt an unterschiedlichen biotechnologischen Analysen wie Tests der DNA, des Y-Chromosoms, des Mitochon-driums, des Einzelnukleotid-Polymorphismus und der Strontium-Analyse (ebd.). Strontium, ein chemi-sches Element, ist in Felsgestein zu finden und kann über das Grundwasser, pflanzliche oder tierische Nahrung in den menschlichen Körper gelangen, es ist über die Haare, Knochen oder Nägel nachweisbar. Mit Hilfe dieser Techniken wollte man die geographische Herkunft der Asylsuchenden herausfinden – die Körper selbst “verkörperten die Grenze” (S. 404). Die Autoren zeigen, wie dieses Grenzziehungs-Projekt Menschen mit ihrer Umgebung kompromisslos verknüpft hat, ohne die Möglichkeit eines Versagens zu bedenken und ohne zu erkennen, dass geologische und politische Gebiete nicht identisch sein müssen, ebenso wenig wie Geburtsort und Staatsangehörigkeit (S. 404 f).

Fazit

Eine feministische tranversale Solidarität verbindet heterogene mehr-als-menschliche Akteure mitein-ander in gemeinsamen Kämpfen. Menschen sind immer mit ihren Mitmenschen verbunden, indem sie “mit dem und durch den anderen” sind (S. 398). Dies erfordert ein Handeln der Achtsamkeit, der grundlegenden Verletzlichkeit und der Verbundenheit (ebd.). Nur so können wir über die Grenzen der menschlichen Spezies hinaus Solidarität leben und uns in fürsorglichen Beziehungen zu (mehr-als-menschlichen) anderen verpflichten, Beziehungen, die eine bessere und lebenswertere Welt für alle schaffen. Diese Fürsorglichkeitsfragen stellen sich besonders, wenn wir auf Grenzen und Abgrenzungs-praktiken schauen, die bestimmte Menschengruppen (z. B. Flüchtlinge) und deren Umgebung aus-grenzen, überwachen, verletzen und spalten nach zugehörig oder nicht. Für die Autoren leitet sich daraus ein wissenschaftliches Handeln ab, das nicht nur ein Phänomen erklärt, sondern geeignet ist, “sich an der möglichen Entstehung des Phänomens zu beteiligen und zu intervenieren” (S. 398) und das zugleich die Macht¬dynamik und die Asymmetrien zum Ausdruck bringt, von denen es zeugt.

Kernaussagen

Grenzen und Grenzziehungspraktiken dürfen nicht nur aus dem Blickwinkel der Menschen begriffen werden. Grenzen sind Orte, an denen Menschen, Pflanzen, Tiere, Technologien und abiotische Faktoren ineinander verwickelt sind, miteinander in Verbindung gebracht werden – dies geschieht auf unter-schiedliche Weise und spaltet nach zugehörig oder nicht. Um diese Prozesse, Knoten und Einschnitte zu verstehen, muss man herausfinden, wie diese Verbindungen/Trennungen beschaffen sind und welche Formen des Macht-Ungleichgewichts und der Ungleichheiten in diesen Gebilden eine Rolle spielen. Durch spekulatives Denken und Geschichten im Zusammenhang mit Grenzen, (mehr-als-menschliche) Körper und Technologien können wir ethisch-politische Visionen für Menschen und deren Mitmenschen in einer lebenswerteren Zukunft entwerfen. Visionen, die eine kritische Wissensvermittlung im Hinblick auf Grenzen und Praktiken der feministischen transversalen Solidarität ebenso enthalten wie die Fürsorglichkeit gegenüber Menschen und deren Umwelt.

Leitung

Josef Barla, Christoph Hubatschke

 

Verfasser des Eintrags
Ansprechpartner
Erstellungsdatum
2020