Europe as Borderland

Europe as Borderland

Grenzraum
Europe
Sprache(n)
Englisch
Einleitung

Balibar fordert ein kritisches Überdenken der materiellen Verfassung und die Schaffung Europas als politischer Raum über und innerhalb der Grenzen. Indem er Europa als ein Grenzland begreift, bringt er seine vielschichtigen Widersprüche und Probleme in den Vordergrund und sieht die Entstehung des neuen europäischen transnationalen Bürgers voraus.

Zusammenfassung

In „Europa als Grenzland“ skizziert Balibar zunächst die theoretischen Zusammenhänge zwischen Grenzen, politischen Räumen und Staatsbürgerschaft. Im zweiten Teil überdenkt Balibar die Begriffe der (De)Territorialisierung in dem Versuch, die „'materielle Verfassung' Europas [und] die Entstehung des 'europäischen Bürgers' als neue historische Figur zu analysieren“ (S. 202). Alle Themen sind im dritten Teil vereint, in dem Balibar seine Vorstellungen vom neuen, kosmopolitischen oder transnationalen Bürger und ihre Rolle im Grenzlandmodell Europas skizziert.

Inhalt

Der Aufsatz „Europa als Grenzland“ basiert auf einem Vortrag von Étienne Balibar am 10. November 2004 an der Radhoud Universität Nijmegen; der Text ist in englischer Sprache als eigentliche Abschrift von Balibars Vortrag und in einer überarbeiteten Fassung in Form eines Artikels in der Zeitschrift Society and Space zu finden. Eine französische Version ist in Balibars Europa-Verfassung Frontière (2005) enthalten. Der hier zusammengefasste Zeitschriftenartikel besteht aus zwei Hauptteilen und einer Zusammenfassung mit Schlussfolgerungen.

Im ersten Teil legt Balibar den Schwerpunkt auf politische Räume und stellt sein Verständnis und seine Verwendung einiger Schlüsselkonzepte vor. Zunächst skizziert er die Konditionalität von Grenzen für politische Räume. Die Territorialisierung von Räumen funktioniert als Voraussetzung für „Politik“ und dient auch dazu, „kollektiven Subjekten innerhalb von Machtstrukturen 'Identitäten' zuzuweisen“ (S. 192). Er zeichnet die historische Entwicklung und die Erfindung von Grenzen in Europa von alten Formen von „Märschen“ oder „Limes“, Grenzen von Herrschafts- und Freistadtgebieten, Grenzen als Markierungen nationaler Territorien, hin zu neueren globalen Grenzen wie dem Eisernen Vorhang und der anschließenden Nord-Süd-Trennung, die zu der heutigen komplexen Situation verschwommener Innen- und Außengrenzen in Europa führen. Balibar erklärt, wie diese sich verändernden Auffassungen und Funktionen der Grenze mit den veränderten Vorstellungen von Souveränität und Staatsbürgerschaft korrelieren. Um die Situation Europas mit seinem komplexen und verwobenen Netz von Innen- und Außengrenzen analysieren zu können, stellt Balibar drei Modelle politischer Räume vor („Clash-of-Civilization“, „Global Network“ und „Center vs. Peripherie“) und schlägt ein viertes vor, das er für das gegenwärtige und zukünftige Europa für passend hält („Europa als Grenzland“) (S. 194 ff.). Das Modell Europa als Grenzland erlaubt eine Zeitgenossenschaft aller bisherigen Modelle; es ermöglicht die Überwindung des binären Denkens von Innen vs. Außen und stellt „allgegenwärtige und multiple“ Grenzen vor (S. 1 Vortrag). Seine Vorstellung von Europa als Grenzland spiegelt sich in einem Bild wider, das offene, sich überschneidende Räume auf dem Titelblatt von Balibars Les frontiéres de la democratie zeigt:

Im zweiten Teil seines Artikels schlägt Balibar ein Überdenken der „Dialektik von 'Territorialisierung' und 'Deterritorialisierung'„ vor. (p. 201). In der heutigen globalisierten Welt, insbesondere in Europa, dem Ort, an dem Balibar gilt und von dem er seine theoretischen Vorstellungen ableitet, kann die Unterscheidung zwischen „innen und außen“ nicht mehr aufrechterhalten werden.

Die zeitgenössische Anwendung widersprüchlicher Muster politischer Räume auf die „Figur“ Europa in der Welt zeigt Politiken auf, die sowohl das Innere als auch das Äußere betreffen, wie er mit seiner Analyse der Sicherheitspolitik und der kulturell-sprachlichen Unterschiede in Europa veranschaulicht. Balibar argumentiert, dass „die 'materielle Verfassung' Europas, die der Entstehung des 'europäischen Bürgers' als neue historische Figur zugrunde liegt, [...] zwischen zwei gegensätzlichen Polen oszilliert“, nämlich einerseits „gewaltsame Prozesse der Ausgrenzung“, z.B. durch die brutale Durchsetzung von 'Sicherheitsgrenzen', und andererseits „zivile Prozesse der Ausarbeitung von Differenzen“, z.B. durch die Schaffung und Förderung der kulturellen 'Identität' Europas (S. 202). In der Diskussion über die „'raumpolitische' Figur Europas“ beobachtet Balibar die Dislokation und Ubiquität der Grenzen, die sich einerseits „innerhalb der Territorien der europäischen Staaten replizieren [...] und andererseits über die Grenze hinaus transportiert werden“ (S. 203). Darüber hinaus analysiert Balibar die Rolle der sich wandelnden Grenze bei der Produktion von Fremden/Ausländern und bringt seine Argumentation auf das Thema Staatsbürgerschaft zurück. Ausgehend von Umberto Ecos Idee der Übersetzung als gemeinsame Sprache Europas und auch von Rosi Braidottis Überlegungen zum Nomaden als mehrsprachigem und -kulturellem Individuum schlägt Balibar die Übersetzung als „eine Form der virtuellen Deterritorialisierung“ vor, die es „ermöglicht, sich auch einen transnationalen Raum 'anzueignen' oder 'zu bewohnen' und ihn in eine neue Öffentlichkeit zu transformieren“ (S. 207).

In seinem Fazit fasst Balibar zusammen: „'Borderland' ist der Name des Ortes, an dem die Gegensätze ineinander fließen“ und wirft „die Frage nach einer 'transnationalen [...] Figur der Staatsbürgerschaft, die sich innerhalb und außerhalb der Grenzen abspielt“ (S. 210) auf.

Fazit

Grenzen sind heutzutage komplexe Phänomene: In seiner Analyse des heutigen Europas kommt Balibar zu dem Schluss, dass Grenzen keine klare Trennung zwischen „innen“ und „außen“ mehr bieten, sondern verschoben, mobil und allgegenwärtig geworden sind.

Balibar skizziert verschiedene Modelle politischer Räume, nämlich das Zivilisationskrisenmodell, das Modell des Globalen Netzwerks und das Zentrum-vs-Peripherie-Modell, und schlägt dann sein eigenes Modell mit dem Namen „Borderland“ vor, das er auf Europa anwendet / auf der Grundlage des heutigen und zukünftigen Europas. Das Modell Europa als Grenzland ermöglicht eine Gleichzeitigkeit aller bisherigen Modelle; es ermöglicht die Überwindung des binären Denkens von Innen vs. Außen und stellt allgegenwärtige und multiple Grenzen vor (Zitat?). Für Balibar ist das heutige Europa durch eine „Weltgrenze [...] mit spezifischen 'europäischen' Eigenschaften“ (S. 1-2 Vortrag) charakterisiert, durch die es „unvermittelte Kontakte mit praktisch allen 'Teilen' der 'Welt' hat“ (S. 1-2 Vortrag).

Balibar projiziert und sieht den 'neuen Bürger' im Grenzland Europa als ein translatorisches und nomadisches Subjekt.

Er bietet keine Antworten oder Lösungen hinsichtlich der (materiellen) Konstitution Europas und der Europäizität einer zukünftigen transnationalen Staatsbürgerschaft an, aber er fordert dazu auf, die aktuellen Fragen und Probleme Europas und die scheinbar widersprüchlichen Entwicklungen der beharrlichen Starrheit seiner inneren und der unvorhergesehenen Durchlässigkeit seiner äußeren Grenzen anzuerkennen. Darüber hinaus plädiert er auch für die Anerkennung der Probleme und Fragen der „Verfassung Europas“, indem er Europa als einen politischen Raum betrachtet, der aus „einer Reihe von versammelten Peripherien“ (Said) besteht, wobei jede Region Europas die Rolle eines Zentrums übernehmen kann und jede aus sich überlappenden, offenen Peripherien besteht (S. 200).

Kernaussagen

Balibar legt die Rolle eines veränderten Verständnisses von Europa offen und hebt die Rolle der Grenzen in Europa hervor, wobei er verschiedene Muster zur Beschreibung politischer Räume vorschlägt, nämlich die Modelle „Clash-of-Civilization“, „Global Network“ und „Center vs. Peripherie“, die alle zeitgleich in seinem neuen Modell des Grenzlandeuropas koexistieren können, das er als einen Ort sich überlappender offener Regionen versteht. In diesem Grenzland, in dem Grenzen allgegenwärtig und mobil sind, kann eine neue Form der transnationalen Staatsbürgerschaft entstehen. 

Leitung

Étienne Balibar

Ansprechpartner
Erstellungsdatum
2018
Erschienen in
Society and Space, Volume: 27 issue: 2
Identifikationsnummer