Lebenswirklichkeiten und politische Konstruktionen in Grenzregionen. Das Beispiel der Großregion SaarLorLux. Wirtschaft – Politik – Alltag – Kultur

Lebenswirklichkeiten und politische Konstruktionen in Grenzregionen. Das Beispiel der Großregion SaarLorLux. Wirtschaft – Politik – Alltag – Kultur

Grenzraum
Großregion SaarLorLux
Sprache(n)
Französisch
Deutsch
Einleitung

In diesem Sammelband wird am Beispiel der Großregion SaarLorLux der Frage nachgegangen, wie grenzüberschreitende Regionen entstehen und was sie charakterisiert.

Zusammenfassung

In diesem Sammelband gehen die Autoren der Frage nach, wie grenzüberschreitende Regionen entstehen und was sie charakterisiert. Die Praktiken von institutionellen Akteuren und Grenzraumbewohnern in den Bereichen Arbeitsmarkt, Wirtschaft, politische Kooperation, Medien, Alltag und Kultur werden analysiert und diskutiert.

Inhalt

In dem Sammelband finden sich vielfältige konkrete Beiträge zu den Lebenswirklichkeiten und politischen Konstruktionen in der Großregion SaarLorLux. Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen liefern Beiträge zu folgenden Themen: Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Governance und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Alltagspraktiken und Identitäten, Medien, Kunst und grenzüberschreitende Kulturpolitik. Christian WILLE diskutiert in der Einführung „Zur Einleitung: Lebenswirklichkeiten und politische Konstruktionen in Grenzregionen“ die Namensgebung der Region und betont, dass „die Auseinandersetzung mit grenzüberschreitenden Räumen einer Mehrebenen-Logik folgen muss, und zwar der territorialen Ordnung nationalstaatlicher Gliederung einerseits und der räumlichen Formation gesellschaftlicher Praxis andererseits“ (S. X).

In dem Kapitel Wirtschaft und grenzüberschreitender Arbeitsmarkt gehen Helfer und Dörrenbächer auf die Geschichte der Region ein, indem sie die Industrialisierung und die gemeinsamen und individuellen Entwicklungen seit der Krise des Montansektors behandeln. Während Malte HELFER in seinem Beitrag „Die Industrialisierung der Großregion SaarLorLux“ auf die wirtschaftshistorischen und wirtschaftsgeographischen Entwicklungen eingeht und diese anschaulich beschreibt; legt DÖRRENBÄCHER den wirtschaftlichen Strukturwandel im SaarLorLux-Raum dar. Gegen Ende seines Beitrags „Ein grenzüberschreitender Wirtschaftsraum? Gemeinsame und individuelle Entwicklungen seit der Krise des Montansektors“ greift der Autor die Frage auf, ob die SaarLorLux-Region eine gemeinsame Wirtschaftsregion ist. Er schreibt, dass an dem Konzept diesem Konzept festgehalten werden kann und betont dabei, dass die Region von Heterogenitäten und darauf basierenden Austauschprozessen gekennzeichnet ist. Der Beitrag "Un marché de l’emploi intégré ? L’emploi frontalier et ses dimensions socio-économiques" von Rachid BELKACEM und Isabelle PIGERON-PIROTH über die grenzüberschreitende Beschäftigung und ihre sozio-ökonomischen Dimensionen rundet das Kapitel ab. Die Autoren gehen auf die Profile und den Alltag der Berufspendler im grenznahen Kernraum ein.

Im Schwerpunktbereich „Governace und grenzüberschreitende Beschäftigung“ bietet Franz CLÉMENT zunächst einen Überblick über die politischen Institutionen, Kompetenzen und Kooperationen in der Großregion SaarLorLux (La représentation politique dans la Grande Région SaarLorLux: institutions, compétences et coopérations). Estelle EVRARD und Christian SCHULZ arbeiten in „Vers une région métropolitaine polycentrique ? Enjeux d’un aménagement du territoire transfrontalier“ die Notwendigkeit einer abgestimmten Raumentwicklung der Teilregionen hervor. Rechtliche, kulturelle und sprachliche Unterschiede erschweren diese Aufgabe. Am Beispiel der Metroborder Strategie „Grenzüberschreitende polyzentrische Metropolregion“ diskutieren sie Herausforderungen, bereits realisierte Schritte und Ambitionen des Projekts. Antje SCHÖNWALD arbeitet in ihrem Aufsatz „Alle an einem Strang? Zur Rolle von Identitäten und Stereotypen in der grenzüberschreitenden Kooperation“ acht Typen großregionaler Identitäten heraus.

In dem Themenblock „Grenzüberschreitende Alltagspraktiken und Identitäten“ befasst sich Christian WILLE in seinem Aufsatz „Grenzüberschreitende Alltagspraktiken in der Großregion SaarLorLux: eine Bestandsaufnahme“ mit Alltagspraktiken die von den Einwohnern des Saarlandes, Lothringens, Luxemburgs, sowie von Rheinland-Pfalz und Wallonien in einem anderen Land als ihrem Wohnland ausgeführt werden. In dem Beitrag „Die Großregion SaarLorLux zwischen Vision und Wirklichkeit: grenzüberschreitende Alltagspraktiken und Raumbilder von Jugendlichen“ erarbeitet Gundula SCHOLZ die Abgrenzungen der Großregion junger Bewohner der Region und schlägt Handlungsempfehlungen zur Stärkung der regionalen Identität vor. Die Wohnmigration von Luxemburg in vier deutsche Grenzgemeinden bildet den Themenschwerpunkt von Elisabeth BOESENs und Gregor SCHNUERs Text „Wohnen jenseits der Grenze. Regionale Integration und ihre lokalen Verwirklichungen“.

Im Abschnitt „Medienpraktiken und grenzüberschreitende Medienöffentlichkeiten“ bietet Elena KREUTZER in „Grenzüberschreitende Medienöffentlichkeiten? Zur Berichterstattung im SaarLorLux-Raum am Beispiel von ›Migration‹“ eine inhaltsanalytische Darstellung von Migranten in der jeweils auflagenstärksten saarländischen, lothringischen und luxemburgischen Tageszeitung. Vincent GOULET und Christoph VATTER diskutieren in „L’espace médiatique transfrontalier : médias, flux d’informations et pratiques journalistiques“ die grenzüberschreitende Zirkulation von Informationen.

In dem Themenblock „Kunst und grenzüberschreitende Kulturpolitik“ stellt Monika SONNTAG in dem Beitrag „»Für uns ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine Selbstverständlichkeit ...« – die Großregion SaarLorLux aus Sicht von Kulturakteuren“ fest, dass die kulturpolitische Gestaltung in der Großregion die vorhandenen sozialräumlichen Disparitäten und Grenzen stärker berücksichtigen sollte. In dem Aufsatz „Stratégies et dispositifs culturels dans la construction d’un espace culturel. Les politiques muséales de Luxembourg et Grande Région – Capitale européenne de la culture 2007“ berichtet Gaëlle CRENN über das Ausarbeiten grenzüberschreitender kultureller Politiken und Kooperationsdispositive. Eva MENDGEN beschäftigt sich in dem Beitrag „Europäische Kulturgemeinschaft: Kristallglasmacher in der Großregion – Grande Région: une communauté culturelle du savoir-faire“ mit einem Handwerk, das auf eine lange gemeinsame Geschichte im Untersuchungsgebiet zurückblicken kann.

Birte NIENABER hebt in der Schlussbetrachtung „Die Großregion SaarLorLux: Lebenswirklichkeiten und politische Konstruktionen“ hervor, dass einige Beiträge darauf schließen lassen, „dass die Lebenswirklichkeiten eher entlang der Grenze stattfinden, die politischen Konstruktionen hingegen eher im gesamten Territorium der Großregion SaarLorLux“ (S. 312). Es wird die Frage aufgeworfen, welche Auswirkungen die Reform der Regionszuschnitte in Frankreich und die Einbeziehung der Region Bruxelles-Capitale in die Großregion SaarLorLux mit sich bringen werden.

Fazit

In Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region stellen die jeweiligen Autoren fest, dass die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung den Austausch beflügelt. Die Großregion SaarLorLux kann als grenzüberschreitende Wirtschaftsregion bezeichnet werden, die in der Lebenswirklichkeit ihrer Bewohner existiert und gelebt wird. Um einen integrierten Arbeitsmarkt zu schaffen sind jedoch weitere Maßnahmen wie bspw. eine Verbesserung der Mobilitätsbedingungen nötig.

Im Themenblock Governance und grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird deutlich, dass die Organisations- und Verwaltungsstrukturen in den Nationalstaaten sind sehr unterschiedlich sind und nach wie vor eine nationalstaatliche Ausprägung aufweisen. Die Gründung eines EVTZ (Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit) und der Plattform GIS-GR (Geografisches Informationssystem der Großregion) stellen erste Bemühungen einer Institutionalisierung dar. Zusätzliche unabhängige Organe könnten zur Stabilität beitragen. Je nach beruflichem oder privatem Kontext können sich neben den nationalen Identitäten weitere Subidentitäten herausbilden.

Die Großregion SaarLorLux konstituiert sich als grenzüberschreitende Lebenswirklichkeit ihrer Bewohner und über ihre Alltagspraktiken (bspw. Alltagsmobilitäten, Einkaufsaktivitäten, touristische Aktivitäten, persönliche Aktivitäten). Gleich zu Beginn des Kapitels über grenzüberschreitende Alltagspraktiken und Identitäten wird jedoch auch die Problematik der Namensgebung der Region thematisiert. In einem weiteren Beitrag wird der Ausbau des regionalen Standortmarketings zur Stärkung der regionalen Identität empfohlen. Zudem werden Vorschläge zur Kooperation von Verwaltungseinheiten herausgearbeitet. Am Beispiel der Wohnmigration in der Region wird verdeutlicht, dass in der Region eine enorme soziokulturelle Differenziertheit besteht.

In dem Kapitel über Medienpraktiken und grenzüberschreitende Medienöffentlichkeiten kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der grenzüberschreitende mediale Austausch von Informationen und Meinungen nur schwach ausgeprägt ist und in dieser Hinsicht „nur in Ansätzen auf eine SaarLorLux-Region als Lebenswirklichkeit schließen“ (S. 322) lässt. Ohne einen gemeinsamen medialen Raum ist es schwierig, die Bewohner der Region über grenzüberschreitende Institutionen und Politiken zu informieren. Neue Medien und Kommunikationskanäle bieten hier jedoch eine Chance zur interregionalen Integration.

In den nachfolgenden Beiträgen zur Kultur wird deutlich, dass Kulturpolitik „nicht nur grenzüberschreitend gedacht und koordiniert werden sollte, sondern auch als gesellschaftliche Querschnittspolitik verstanden werden“ (S. 270) sollte. Der Beitrag zu „Luxemburg und Großregion: Kulturhauptstadt Europas 2007“ zeigt, wie unter Beibehaltung der kulturellen und linguistischen Besonderheiten ein gemeinsamer Zugehörigkeitsraum geschaffen werden konnte. Am Ende des Kapitels wird die Glasindustrie als communauté culturelle in der Auslegung Robert Schumans diskutiert, „die sich über kulturelle Grenzen hinweg der Zusammengehörigkeit bewusst ist und die diese lebt, behauptet und verteidigt“ (S. 305). Diese könnte Anregungen für die grenzüberschreitende Kooperation bieten. In der Schlussbetrachtung wird noch einmal deutlich, dass sich die Lebenswirklichkeiten der Bewohner eher entlang der Grenze abspielen, während sich die politischen Konstruktionen hingegen eher über das gesamte Gebiet der Großregion erstrecken.

Kernaussagen
  • Die territoriale Ausdehnung der Region stellt einen großen Diskussionspunkt dar.
  • Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der Region beflügelt den Austausch. 
  • Um einen integrierten Arbeitsmarkt zu schaffen sind weitere Maßnahmen nötig. 
  • Die Organisations- und Verwaltungsstrukturen sind in den Nationalstaaten sehr unterschiedlich. 
  • Je nach beruflichem oder privatem Kontext können sich neben den nationalen Identitäten weitere Subidentitäten herausbilden. 
  • Die Großregion SaarLorLux konstituiert sich als grenzüberschreitende Lebenswirklichkeit ihrer Bewohner und über ihre Alltagspraktiken 
  • Die Problematik der Namensgebung besteht weiterhin. Zur Stärkung der regionalen Identität wird ein Ausbau des regionalen Standortmarketings empfohlen. 
  • In der Region besteht eine enorme soziokulturelle Differenziertheit. 
  • Der grenzüberschreitende mediale Austausch von Informationen und Meinungen ist nur schwach ausgeprägt. Neue Medien und Kommunikationskanäle bieten hier jedoch eine Chance zur interregionalen Integration.
  • Kulturpolitik sollte auch als „gesellschaftliche Querschnittspolitik verstanden werden“ (S. 270). Die Glasindustrie kann als communauté culturelle Anregungen für die grenzüberschreitende Kooperation bieten. 
  • Die Lebenswirklichkeiten der Bewohner spielen sich entlang der Grenze ab, während sich die politischen Konstruktionen eher über das gesamte Gebiet der Großregion erstrecken.
Leitung

Christian Wille

Beiträge

In dem Sammelband finden sich Beiträge von 19 Autoren aus den Ländern Deutschland, Frankreich und Luxemburg. Ein Großteil der Autoren arbeitet im Rahmen des UniGR-Center for Border Studies zusammen.

Christian Wille

Malte Helfer

Peter Dörrenbächer

Rachid Belkacem

Isabelle Pigeron-Piroth

Franz Clément

Estelle Evrard

Christian Schulz

Antje Schönwald

Gundula Scholz

Elisabeth Boesen

Gregor Schnuer

Elena Kreutzer

Vincent Goulet

Christoph Vatter

Monika Sonntag

Gaëlle Crenn

Eva Mendgen

Birte Nienaber

Ansprechpartner
Erstellungsdatum
2018
Datum
Verlag
Bielefeld : Transcript
Identifikationsnummer

ISBN: 978-3-8376-2927-9