Die Grenzforscher Oliver Kramsch und Chiara Brambilla nutzen Walter Mignolos epistemologische Perspektive auf Grenzen, um in ihrem Artikel eine neue Sichtweise auf Euro-Afrikanische Grenzräume zu entwickeln. Die Analyse eines Berichtes der West African Borders and Integration (WABI) Initiative offenbart einen neunen, die kolonialen Beziehungen verschleiernden Blick auf die EU, ihre Grenzräume und grenzüberschreitenden Beziehungen, die als Modell für WABI dienen. Dabei werden neue Dynamiken in der wechselseitigen historischen Konstruktion von Grenzen aufgezeigt, die eine Erweiterung von Mignolos Konzept der Exteriorität und des Grenzdenkens notwendig werden lassen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Eurozentrismus und Okkzidentalismus nicht nur in Westeuropa zu verorten sind, sondern über die europäischen Grenzen hinweg angeeignet und lokalspezifisch interpretiert werden. Andersherum sind Grenzdenken und die Exteriorität nicht nur außerhalb des Westens zu finden. So begreifen die Autoren ihren Artikel selbst als Grenzdenken, der die euro-afrikanischen Beziehungen und Grenzkonstruktionen neu einordnet.
Brambilla betrachtet den globalen Kapitalismus als fundamental geographisches Projekt, da er sich auf die Beziehung zwischen Staat, Territorium und Kapital gründet, die in engem Zusammenhang mit geographischen Konzepten wie Grenze und Landschaft stehen. Die ungleich entwickelte Landschaft, die dadurch entsteht, ist die Basis des kontemporären Kapitalismus. Um eine alternative (geo)politische Vision zum Kapitalismus zu schaffen, bedarf es laut Brambilla einer Neukonzeptualisierung von eher klassischen, statischen geographischen Kernkonzepten wie ‚Landschaft‘ und ‚Grenze‘. Sie schlägt daher das Konzept der borderscape vor, welches auf den prozesshaften Charakter von Grenzlandschaften verweist und nutzt es in Anlehnung an Mezzadra und Neilson (2013) als Methode für eine geographische Opposition gegen den Kapitalismus.
Seit dem spatial turn wurde Raum meist relational konzipiert, wobei das Konzept der Grenze vernachlässigt wurde, da es nicht mit dieser relationalen Raumperspektive vereinbar schien. Grenzen spielen jedoch in der empirischen Betrachtung von Räumen immer wieder eine wichtige Rolle. Die Autoren entwerfen daher eine Konzeption der Grenze, die sich in eine relationale Raumtheorie integrieren lässt. Sie verstehen die Grenze selbst als Relation zwischen mindestens zwei Räumen, die sie miteinander in Beziehung setzt. Wenn spezifische Differenzierungen bei der Konstruktion von Räumen relevant sind, können Grenzen diese Differenz verräumlichen und territoriale Raumkonstitutionen schaffen. Die Autoren zeigen dies anhand eines empirischen Beispiels zu Grenzkonstruktionen auf der Balkanroute während der Migrationsbewegungen im Jahr 2015.
Inwiefern sind die Grenzräume Räume in Randlage? Dieses Kapitel betont die Relativität der Randlage der Grenzen in Abhängigkeit von den berücksichtigten räumlichen und zeitlichen Maßstäben. Die mehrdeutige Beziehung zwischen Rand und Grenze wird zunächst durch verschiedene emblematische Fälle in Frankreich und Europa angesprochen. Eine Veränderung des Maßstabs ist somit notwendig, um die Art der Randlage zu betrachten, was anschließend durch einen mehrskaligen Ansatz der Grenzräume gezeigt wird, zwischen der EU insgesamt und den grenzüberschreitenden Räumen in Nordostfrankreich. Diese Elemente ermöglichen schlussfolgernd die Definition der Randlage.
Im Zentrum des Buchs steht die Frage, wie Räume in oder als grenzüberschreitende Bezüge beschrieben und empirisch untersucht werden können. Dafür wendet sich der Autor dem Grenzgängerwesen in der Großregion SaarLorLux zu, das aufgrund seiner zirkulären Mobilitätsstruktur und multilokalen Verankerung exemplarisch für grenzüberschreitende Lebenswirklichkeiten steht. Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass Räume nicht vorgängig existent sind, sondern durch grenzüberschreitende Aktivitäten subjektiv bedeutungsvolle räumliche Verhältnisse entstehen. Der Raumbegriff dient so als Beschreibungsmodus für die – durch die Praktiken der Grenzgänger hervorgebrachten – sinnstiftenden räumlichen Verhältnisse, die über soziokulturelle Teilfragestellungen operationalisiert und empirisch untersucht werden.
Das Trans-Border Institute (TBI) der Universität San Diego setzt sich für einen dauerhaften Frieden in Mexiko und in der Grenzregion ein, und zwar durch angewandte Forschung, innovative Pädagogik und grenzüberschreitende Partnerschaften. Seit nunmehr zwanzig Jahren stellt TBI eine Informationsquelle zu Grenzfragen und zu den Beziehungen zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten dar. Das TBI veröffentlicht Untersuchungsergebnisse und Berichte zu den Themenbereichen Polizeireform, Waffenschmuggel, Anwendung von Migrationsgesetzen.
Das Centre for Border Region Studies an der Universität Süddänemark in Sønderborg (gegründet 2016, basierend auf eine Forschungstradition seit 1976) verbindet die Fakultät für Geisteswissenschaften und die Fakultät für Wirtschaft- und Sozialwissenschaften bei interdisziplinären und vergleichenden Forschungen mit qualitativer Methodik. Vertretene Disziplinen bei der Erforschung europäischer Grenzregionen sind vor allem Anthropologie, Geographie, Geschichte und Politikwissenschaften.
Die Forschungsthemen werden laut Centre for Border Region Studies anhand von vier Feldern strukturiert:
Die wandelnde Rolle und Funktion von Grenzen und Grenzregionen
Zeitgenössische europäische Grenzregionen: Konflikte und Kooperation
Die Rolle der (Grenz-)Regionen und die Europäische Union
Die Grenze als primäres Objekt der Border Studies lässt sich nicht auf ihre begrenzende oder verbindende Funktion reduzieren, sondern muss in ihrer ontologischen Multidimensionalität betrachtet und analysiert werden. Dafür wendet Christophe Sohn das von Deleuze und Guattari (1987) inspirierte Konzept des Assemblage auf die Grenze an, welches dabei hilft ihren multiplen, wandelbaren Charakter und ihre mannigfaltigen Bedeutungen und damit verbundenen Praktiken und Machtbeziehungen zu verstehen.
Universitäten in europäischen Grenzräumen stehen durch ihre geografische Lage vor besonderen Herausforderungen, die als Chance begriffen werden können. Politische Vertreter aus den Grenzraumregionen bekunden ihren Willen zu verstärkter europäischer Integration in den Bereichen Bildung und Forschung. In der Tat erleichtert die räumliche Nähe internationale Forschungskooperationen, den Studierendenaustausch allgemein sowie die Schaffung spezieller, aufeinander abgestimmter bi- und trinationaler Studienprogramme. In Fächern wie den Wirtschafts-, Rechts-, Literatur- und Kulturwissenschaften ergeben sich zudem aus dem Standort besondere Forschungsthemen, die von Wissenschaftlern beiderseits der Grenze bearbeitet werden. Die Qualität der persönlichen Kontakte erweist sich in allen Bereichen als tragende Kraft für innovative grenzüberschreitende Programme.
Im vorliegenden Werk geben geopolitische Experten aus unterschiedlichen Ländern wichtige Informationen zu grenznahen Landschaften und tragen somit zu einem besseren Verständnis für einige Aspekte kultureller Landschaften bei. Politische Grenzen stellen die räumlichen Abgrenzungen der politischen Organisation von Gebieten dar, wobei die Art und Weise, in der diese Grenzen benutzt und wahrgenommen werden, wiederum eine Auswirkung auf die Landschaft haben.